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2013

 

Nominierungen 2013 - Bilderbuch

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Ein Entlein kann so nützlich sein

von Isol (Text, Illustration). Aus dem Spanischen von Karl Rühmann
Empfohlen ab 2 Verlag Jungbrunnen, EUR 12,95

Jurybegründung
Dieses Pappbilderbuch der argentinischen Künstlerin Marisol Misenta erschien im Original in Mexiko. Die ausdrucksstarken, dynamisch wirkenden Zeichnungen zeigen vor leerem Grund ein kleines Mädchen, das mit seiner Gummiente deutlich mehr anzufangen weiß, als sie im Badewasser schwimmen zu lassen. Im Text kommentiert das Mädchen sein Spiel auf oft überraschende Weise. Der eigentliche Clou des kleinen grafischen Kunstwerks offenbart sich erst nach vollständiger Entfaltung des Leporellos: Auf der Rückseite finden wir die gleichen Zeichnungen mit einem Text aus der Sicht des Entleins. Grafisch wird der Perspektivenwechsel durch eine Umkehrung der Farben von Figur und Grund signalisiert. Auf diese Weise vermittelt das Büchlein eine geballte Ladung literarischer, visueller und nicht zuletzt medialer Erfahrungen. Ein großes Vergnügen für Semiotiker und Bibliophile ab zwei Jahren. 

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Nalle liebt Oma

von Stina Wirsen. Aus dem Schwedischen von Maike Dörries
Ab 3 Gerstenberg Verlag,  EUR 5,95

Jurybegründung
Mit ihren Nalle-Geschichten bietet Stina Wirsén kleinformatige Impressionen aus dem Kinderalltag. Das Figurenarsenal ist phantastisch verfremdet, was der Ausgestaltung von Mimik und Gestik besonderen Raum bietet. In Bild und Text werden gefühlsintensive Situationen präzise ausgeleuchtet und dramaturgisch geschickt umgesetzt.
Ganz besonders trifft das auf die Geschichte um Nalle und seine Oma zu, die er sich zu seinem Leidwesen mit seiner manchmal ganz fürchterlich dummen Cousine teilen muss. Bevor das Eifersuchtsdrama so richtig eskalieren kann, gerät die Rivalin jedoch in eine so missliche Lage, dass Nalle ihr gar nicht mehr böse sein kann.

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Der Tag, an dem Louis gefressen wurde


von John Fardell (Text, Illustration) Aus dem Englischen von Bettina Münch
Ab 4 Moritz Verlag, EUR 12,95

Jurybegründung
Sarah und ihr kleiner Bruder machen einen Ausflug. Da wird Louis plötzlich völlig überraschend von einem Schluckster gefressen, dieser wiederum von einem Grabscherix und der von einem Wasserschnapper. Doch Sarah nimmt sofort die Verfolgung auf, und hat etwas bei sich, das ihren Bruder retten wird – einen Schluckauffrosch!
Wirklich beeindruckend, wie souverän die beiden Kinder mit den fünf Monstern umgehen, denen sie auf ihrer Tour begegnen! Das Happy End und die letzte panoramahafte Doppelseite, auf der man die Monster in sicherer Entfernung noch einmal alle suchen kann, runden die phantastische Geschichte gekonnt ab.

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Wo ist mein Hut


von Jon Klassen (Text, Illustration) Aus dem Englischen von Thomas Bodmer
Ab 4 NordSüd Verlag, EUR 14,95

Jurybegründung
Der Bär hat seinen Hut verloren, und fragt nun ein Tier nach dem anderen: „Hast Du meinen Hut gesehen?“ Die Antworten fallen recht unterschiedlich aus, doch weit und breit kein Hut in Sicht! Dabei hätte der Bär doch merken müssen, dass das Kaninchen ihn auf dem Kopf hat.
Wie auf der Spielleiste eines Handpuppentheaters agieren auf den Buchseiten maximal zwei Figuren. Und die Betrachter überblicken das Geschehen bisweilen besser als die Hauptfigur dies offenbar tut. Schließlich erweist sich der Bär als weitaus weniger harmlos, als es zunächst schien – so wie der traditionelle Jahrmarktskasperl hat er durchaus auch eine abgründige Seite. Am Ende sitzt zwar der Hut auf dem richtigen Kopf, aber wo ist eigentlich das Kaninchen geblieben?
Mit Tinte zeichnet Jon Klassen zunächst die Umrisse der Figuren auf chinesisches Papier, um am Computer alles zusammenzufügen, und Farben sowie andere Details zu ergänzen. Die Typografie ist nicht nur ein Augenschmaus, sondern zugleich auch semantisch aufgeladen.

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Der Rauhe Berg


Von Einar Turkowski (Text, Illustration)
Ab 8 Atlantis VErlag EUR 19,95

Jurybegründung
In diesem Bilderbuch wird das genaue Hinsehen zum Thema. Überdies werden die semantischen Potenziale des Mediums Buch ins Spiel und der Konstruktcharakter der Wirklichkeit zur Anschauung gebracht. Abweisend und grandios zugleich tritt der Rauhe Berg uns gegenüber und das drückt sich auch in dem ungewöhnlichen Hochformat des Buches aus und in der fast aristokratisch wirkenden Leere auf den Buchseiten. Wer das Wagnis einer Besteigung des Berges unternimmt, erlebt eine Reise ins Unbewusste. „Sieh, wenn Du kannst“, fordert ein Schild den Wanderer auf und der erfährt bald, dass dies das bei weitem größte Abenteuer seines Unterfangens ist.
Die technisch perfekten Bilder von Einar Turkowski entwerfen eine surreale Welt voller Poesie und skurriler Komik. Die Bleistiftzeichentechnik beruht auf der Verwendung eines herkömmlichen Stifts der gängigsten Stärke. Mit diesem einen Stift gelingt es Turkowski, alle unterschiedlichen Facetten seiner Geschichte ins Bild zu setzen. Zumindest teilweise können die Bilder durchaus auch Kindern im Vorschulalter zugänglich werden. Das Buch hat aber einen Adressatenentwurf, der sehr weit über diese Altersgruppe hinausgeht.

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Der Pirat und der Apotheker


Eine lehrreiche Geschichte
von Robert Louis Stevenson (Text) Aus dem Englischen und Illustrationen von Henning Wagenbreth
Ab 10 Peter Hammer Verlag, EUR 26.--

Jurybegründung
„Der stille Räuber hinterm Deich / schläft weicher und wird schneller reich“.
Henning Wagenbreth, der bislang als Grafiker, aber nicht als literarischer Übersetzer hervorgetreten ist, hat hier eine zumindest im deutschen Sprachraum nahezu unbekannte Vers-Geschichte des Schatzinsel-Autors Stevenson nicht nur genial ins Bild gebracht, sondern auch kongenial übersetzt. Das sollen die oben zitierten Verse zeigen, die im Original folgendermaßen lauten: „The silent pirates of the shore / Eat and sleep soft, and pocket more”.
Die assoziationsreichen Assonanzen hat Wagenbreth zum Ausgleich für andere, nicht ins Deutsche übersetzbare Klangspiele, hinzugefügt und damit eine sehr treffende sprachliche Markierung für die wahrhaft schleicherische Hinterhältigkeit des Apothekers gefunden, die der grausamen Wildheit des Piraten entgegensteht.
Es ist eine ins Komische gewendete moralische Erzählung, wie wir sie auch bei Heinrich Hoffmann und Wilhelm Busch finden. Stevenson schrieb den Text im Jahr 1882 für seinen zwölfjährigen Stiefsohn und illustrierte ihn mit eigenen Holzschnitten. In seinen großformatigen und kontraststarken Bildern zitiert Wagenbreth diese Holzschnittästhetik und steigert sie ins expressionistisch Überzeichnete. Viel groteske Komik und schwarzer Humor, wie wir sie in der deutschen Kinderliteratur viel zu wenig finden. Ein großer Gewinn also.  

 

Nominierungen 2013 - Kinderbuch

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Ich wünschte


von Toon Tellegen (Text) und Ingrid Godon (Illustration)
Aus dem Niederländischen von Birgit Erdmann
Ab 6 mixtvision Verlag, EUR 29,90

Jurybegründung
Dieses sorgfältig ausgestattete und anregend eingeleitete Buch enthält eine Sammlung eindrucksvoller Kreidezeichnungen von Ingrid Godon mit Texten von Toon Tellegen. Die Porträtbilder, die an altniederländische Malerei und zugleich an Familienfotos erinnern, zeigen vorzugsweise Kinder, die den Betrachter aus weit auseinander gestellten Augen mit großem Ernst anblicken. Die Texte imaginieren Wünsche fernab der üblichen Vorstellungen vom Kinderglück. Sie sprechen auch von Verletzungen, Ängsten, von abhanden gekommener Lebensfreude, von bislang ungestillter Sehnsucht und Hoffnung, die sich vielleicht noch erfüllt: „Ich wünschte, das Glück wäre ein Gegenstand, den ich irgendwo gefunden und mit nach Hause genommen hätte. Ich würde niemandem erzählen, dass ich es gefunden hätte. Ich würde es verstecken und nur hervorholen, wenn ich sicher wäre, allein zu sein. Dann würde ich es polieren.“ Ein solcher Gegenstand ist das Buch selbst – ein herausragendes Stück Kindheitsliteratur, reich an Leerstellen und von einer Brillanz, die in Muße genossen sein will. Dass es einen offenen, Erwachsene einschließenden Adressatenentwurf hat, ist damit eigentlich schon gesagt.

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Tommy Mütze


von Jenny Robson (Text)
Eine Erzählung aus Südafrika. Aus dem Englishen von Barbara Brennwald
Ab 8 Baobab Books EUR 15,90

Jurybegründung
„Dumisani hielt sein Leseverständis-Buch ein bisschen hoch, damit wir uns dahinter besprechen konnten. ‚Gleich ist Pause, Doogz. Beim Mittagessen wird er das Ding doch abnehmen müssen, oder? Spätestens dann wissen wir, was er darunter versteckt.‘“
Dieses Buch wurde aus dem südafrikanischen Englisch übersetzt und das Zitat macht deutlich, dass es an einer Schule handelt, deren Unterrichtsbrauchtum deutschen Lesern vertraut scheinen mag. Es bietet alles, was gute kinderliterarische Unterhaltung ausmacht: eine spannende, pointenreiche Geschichte, überzeugend gezeichnete Charaktere, lebendig wirkende Dialoge, eine klare Erzähldramaturgie und einen überaus gewitzten kindlichen Ich-Erzähler. Darüber hinaus spielt der Text mit Lesererwartungen, die geschickt aufgebaut und fast nie erfüllt werden. Dazu gehört der erfrischend beiläufige Umgang mit Alterität, denn die Geschichte handelt in einer ethnisch heterogenen Schulklasse, ohne dass das überhaupt ein Thema wäre. Besonders überrascht die Lösung des Rätsels um Tommys Vermummung mit einer überdimensionalen Mütze. Eine gut erzählte Geschichte mit aufklärerischem Potenzial für Leserinnen und Leser im Grundschulalter.

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Die wilden Piroggenpiraten


von Maris Putnins
Ein tollkühnes Abenteuer um eine entführte Mohnschnecke und ihre furchtlosen Retter. Aus dem Lettischen von Matthias Knoll
Ab 8 Fischer Schatzinsel EUR 14,99

Jurybegründung
Eine spannende und zugleich umwerfend komische Abenteuergeschichte erzählt der lettische Autor Maris Puntinš. Indem er die Gattungsmuster zugleich erfüllt und parodiert vollbringt er eine Art Quadratur des Kreises, die das Lesevergnügen gleichsam vervielfacht. Denn bei den Figuren handelt es sich durchwegs um Gebäck. Im Mittelpunkt stehen das arme reiche Mädchen Mohnschnecke, ihr tapferer Anbeter Eclair, der verwöhnte junge Geck Hörnchen und der großherzige Plebejer Otto Pelmeni, die sich aus unterschiedlichen Motiven auf eine abenteuerliche Reise begeben haben. Die Handlung des über 650 Seiten starken Buches entfaltet sich in drei Strängen, die Spannung wird durch eine ausgefeilte Cliffhanger-Dramaturgie gesteigert. Und die Übersetzung von Matthias Knoll vermittelt ein ganzes Feuerwerk sprachkomischer Effekte, denn die Figuren sind auch sprachlich durchstilisiert und die Erzählerrede zitiert den Ton klassischer Abenteuerromane des 19. Jahrhunderts. Der Text eignet sich gleichermaßen zum Vorlesen wie zum Selberlesen, im Spektrum vorhandener Piratengeschichten für Kinder bietet er eine willkommene Abwechslung.

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Zorgamazoo


von Robert Paul Weston (Text) und Victor Rivas (Illustration)
Aus dem Englischen nachgedichet von Uwe-Michael Gutzschhahn
Ab 9 Verlagshaus Jacoby & Stuart EUR 16,95

Jurybegründung
„Ich warn' dich natürlich, bevor wir beginnen:
Grusel und Spannung werden hier walten,
Gefahr und Schrecken und knappes Entrinnen,
böse Geschöpfe, Horrorgestalten.
Drachen und Monster, üble Gorgonen,
Wesen, bei denen der Mutigste zuckt.
Entlegene Orte, wo Schurken wohnen.
(Häuser, vor denen der Atem dir stockt.)"

Dieser Roman bietet nicht nur eine detailfreudig ausfabulierte phantastische Welt mit einem gewaltigen Aufgebot skurril-schauriger Gestalten, er ist außerdem komplett in Versen gehalten. In Kombination mit der auktorialen Erzählweise, der simulierten Mündlichkeit und dem leicht marktschreierischen Duktus wirken die Kreuzreime und Daktylen überaus komisch. Der Verfasser bedient sich großzügig aus dem Motivreservoir der Fantasyliteratur und des Heldenepos und erzeugt schon allein dadurch einen gattungsparodistischen Effekt, der durch die Versform, die Erzählweise und den großen Reichtum schwarzhumoristischer Einfälle noch eine Steigerung erfährt. Uwe-Michael Gutzschhahn hat sich der Anstrengung unterzogen, dieses opulente Gebilde ins Deutsche zu übertragen. Und Víctor Rivas hat die Geschichte kongenial illustriert.

 

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Als mein Vater ein Busch wurde und ich meinen Namen verlor


von Joke van Leeuwen
Aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers
Ab 10 Gerstenberg Verlag EUR 12,95

Jurybegründung
„Ich dachte zu der Zeit nie, dass dort woanders war. Überall sonst war woanders, nur nicht dort, wo wir wohnten.“ Die Erfahrung, jemand von woanders zu sein, dem man mit Misstrauen, offener Feindseligkeit oder aufgesetzter Freundlichkeit begegnet, macht die kindliche Ich-Erzählerin aufgrund eines Krieges, der sie dazu zwingt, ihre Heimat zu verlassen. Die konsequent durchgehaltene kindliche Weltsicht und die schnörkellos nüchterne Sprache machen die Absurdität des Geschehens deutlich, das in einem fiktiven, gleichsam zeit- und ortlosen Raum angesiedelt wurde. Die Protagonistin nennt die Dinge bei ihren Namen und nimmt die Namen wörtlich. Indem sie Euphemismen, gefühliges Pathos und Bildsprache unterläuft, torpediert sie das uneigentliche Sprechen der Erwachsenen. In ihrer entlarvenden Naivität und schonungslosen Konkretheit scheinen die Illustrationen der Verfasserin eine ähnliche Strategie zu verfolgen. Auf diese Weise wird das Grauen auch komisiert, manche Schilderungen lösen ein Lachen aus, das im Halse stecken bleibt. Joke van Leeuwen ist hier eine gänzlich unplakative Parabel gegen den Krieg gelungen, die durch die spannungsreiche Verbindung von sinnlicher Konkretion und symbolhafter Verdichtung überzeugt. Ein vielschichtiger Text, der – besonders mit Blick auf die Komik und auf die Sprache – unterschiedliche Lesarten zulässt.

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Der unvergessene Mantel


von Frank Cottrell Boyce. Carl Hunter (Fotografie) und Clare Heney (Fotografie)
Aus dem Englischen von Salah Naoura
Ab 10 Carlsen Verlag EUR 11,90

Jurybegründung
In diesem Roman wird das nicht ganz neue Thema einer Kinderfreundschaft über kulturelle Hindernisse hinweg auf sehr überzeugende und kinderliterarisch ungewöhnliche Weise erzählt. Ungewöhnlich ist bereits die fiktive Erzählsituation in Form einer rückblickend aus der Sicht einer Erwachsenen erzählten Erinnerung, die durch Bilder ausgelöst wird. Die Polaroid-Fotos hat der fremde Freund des Mädchens aufgenommen, das die Erzählerin einmal war. Sie geben vor, eine ferne Welt zu zeigen, sind aber nichts weiter als sehr geschickte Inszenierungen des jungen Fotografen. So wird nicht nur die Freundschaft der Kinder zum Thema, sondern zugleich die Brüchigkeit von Erinnerungen und die Künstlichkeit kultureller Identitäten. Zumindest innerhalb der Binnenerzählung gibt es kein Happy End. Der exotische Zauber, mit dem der fremde Junge sich selbst und seinen kleinen Bruder umgibt, schützt sie nicht vor der ganz profanen Realität der Abschiebung und in dem Moment, in dem das Mädchen das Gespinst zu durchschauen beginnt, verliert es die beiden. Eine außergewöhnliche Erzählung über die Macht der Kunst und ihre Grenzen.

  Nominierungen 2013 - Jugendbuch
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Méto. Das Haus


von Yves Grevet
Aus dem Französischen von Stephanie Singh
Ab 12 dtv Reihe Hanser EUR 14,95

Jurybegründung
Systematisch versehrte Kindheiten und grausame Praktiken der Auslese Heranwachsender sind in der derzeit auf dem Markt befindlichen dystopischen Literatur keine Seltenheit. Im Gegensatz zu der Mehrzahl dieser Titel zielt der Roman von Yves Grevet nicht auf eine emotionale Überrumpelung der Leserinnen und Leser. Durch die nüchtern-emotionslose Sprache bietet er vielmehr Distanzierungsmöglichkeiten an. Weil der Text auf wohlfeile Identifikationsangebote verzichtet, erscheint die erzählte Welt umso befremdlicher. Die durchwegs männlichen Zöglinge einer totalitären Erziehungsanstalt werden ihrer Individualität beraubt und künstlich dumm gehalten. Es liegt also in der Logik der Erzählung, dass die Sprache nicht nur nüchtern und emotionslos ist, sondern mit ihrem eingeschränkten Wortschatz und den einfachen, parataktischen Satzstrukturen auch ein wenig unbeholfen wirkt. Die Geschichte gleicht einer logischen Versuchsanordnung, die Konstruktion ist wichtiger als das Ausmalen grausamer Details und das Faszinosum liegt weniger in der Handlung als in dem Kosmos, den der Roman entwirft. Das Haus ist der erste Teil einer Trilogie, die im Original in einem einzigen Band erschienen ist. 

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Elefanten sieht man nicht


von Susan Kreller
Ab 13 Carlsen Verlag EUR 14,90

Jurybegründung
Das Romandebüt Susan Krellers ist eine kunstvoll komponierte Erzählung mit einem sehr ernsten Thema. Die Geschichte um die Misshandlung zweier in einer bürgerlich arrivierten Familie lebender Kinder und ihrer Mutter wird nicht aus der Perspektive der Gewaltopfer erzählt, sondern durch eine jugendliche Ich-Erzählerin, die selbst eine Außenseiterin und dadurch sensibilisiert für fremdes Leid ist. In einer vorsichtig tastenden und an originellen Bildern reichen Sprache erzählt die 13-Jährige rückblickend von der Verstrickung, in die sie geriet, als sie den Kindern helfen wollte und bei den Erwachsenen so gar keine Unterstützung fand. Diese wirken aus der Perspektive der Ich-Erzählerin geradezu monströs in ihrer Ignoranz. Es gibt bei der Darstellung der Erwachsenen nur wenige Zwischentöne und kaum Innensicht. Doch scheint die Polarisierung nicht nur dem Thema angemessen, sondern auch der Logik dieser Erzählung, die im Grunde genommen so konstruiert ist wie eine klassische Tragödie. Die Heldin befindet sich in einer ausweglosen Lage, die auf einen tragischen Höhepunkt zusteuert. Dennoch gibt es am Ende einen Hoffnungsschimmer, denn die verzweifelte Tat des Mädchens hat immerhin bewirkt, dass die Kindesmisshandlung ans Tageslicht gelangte.

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Pampa Blues


von Rolf Lappert
Ab 14 Carl Hanser Verlag EUR 14,90

Jurybegründung
Dieser Adoleszenzroman handelt in einem gänzlich weltabgeschiedenen Dorf, dessen (fiktiver) Name Wingroden ein Anagramm für das Wort „Nirgendwo“ bildet. Dort lebt der 16-jährige Ich-Erzähler mit seinem dementen Großvater und den übrigen, Wingroden spärlich bevölkernden Sonderlingen, während die Mutter als Jazzsängerin durch Europa tourt. Der Junge beobachtet seine Umgebung hellsichtig und schonungslos, aber auch voller Sympathie, ist zwar nicht zufrieden mit dem ihm zugedachten Leben aber auch weit entfernt, dagegen aufzubegehren. Stattdessen kultiviert er seine Sehnsucht nach Afrika, das ja schon Jean Paul als Synonym für das Unbewusste galt. Der Roman lässt sich ganz langsam und ziemlich melancholisch an, im zweiten Drittel entfaltet er ein geradezu rasant erscheinendes Tempo voller überraschender Wendungen, die schließlich zu einem kuriosen Happy End führen. Mit Blick auf die Entwicklung des Helden bleibt das Ende aber offen. Der Text überzeugt vor allem durch die Präzision der Figurenzeichnung und deren sprachliche Markierung, die Dialoge und durch die atmosphärische Dichte des Handlungsraumes. Die Verbindung der Adoleszenzthematik mit der Dorfgeschichte dürfte in der Jugendliteratur ziemlich originär sein.

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Wer hat Angst vor Jasper Jones?


von Craig Silvey Aus dem Englischen von Bettina Münch
Ab 14 Rowohlt Taschenbuch VErlag EUR 16,95

Jurybegründung
Wie in einem klassischen Adoleszenzroman wird hier vom Verlust der Illusionen eines jugendlichen Protagonisten erzählt, der erkennen muss in einer Welt voller Abgründe, gemeiner Verlogenheit und himmelschreiender Ungerechtigkeit zu leben. Zugleich ist es ein Kriminalroman, eine im Australien der 1960er Jahre spielende zeitgeschichtliche Erzählung und eine wunderbare Hommage an die Literatur der amerikanischen Südstaaten. Dass bei der Übersetzung eines so vielschichtigen Textes auch Verluste auftreten, scheint unvermeidlich – der intertextuelle Horizont wird sich Lesern außerhalb des anglophonen Sprachraums kaum erschließen. Bettina Münch hat es geschafft, dass für das deutsche Lesepublikum immer noch genug übrig bleibt, indem sie zum Beispiel ganz großartige Entsprechungen für die Sprachspiele in den Dialogen des Ich-Erzählers mit seinem Freund Jeffrey gefunden hat. In ihrer Übersetzung entfaltet der Text ein großes Potenzial für faszinierende Leseerlebnisse und auch für die Entwicklung des Symbolsystems der deutschen Jugendliteratur.

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Meine Schwester ist eine Mönchsrobbe


von Christian Frascella.Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki
Ab 16 Frankfurter Verl.Anst. EUR 22,90

Jurybegründung
Ein proletarischer Nachfolger Holden Caulfields ist der namenlose Ich-Erzähler und Anti-Held dieses Romans. Der Text brilliert durch den schnoddrig-ironischen Erzählton und die stoische Unverfrorenheit, mit der der Held sich in aussichtslose Verlierer-Situationen manövriert und anschließend die Realität in seinem Sinn umdeutet. Es ist eine temporeiche Erzählung, die neben der Lächerlichkeitskomik eines traditionellen Bühnenschwanks durchaus noch andere, subtilere Spielarten des Humors aufzuweisen hat und dem Leser ein Milieu präsentiert, dem man innerhalb der Jugendliteratur nur ganz selten begegnet. Dass das Buch weder im Original noch in der deutschen Übersetzung als Jugendroman ausgewiesen wird, dürfte damit zusammenhängen, dass die Gattung Adoleszenzroman in Italien, anders als in Deutschland, nach wie vor eher in der allgemeinen Literatur angesiedelt ist.

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Abzählen


von Tamta Melaschwili
aus dem Georgischen von  Natia Mikeladse-Bachsoliani
Ab 16 Unionsverlag EUR 16,95

Jurybegründung

Abzählen ist ein Roman über den Krieg, in dem kein einziger Schuss fällt, und doch offenbaren sich die Schrecken in schmerzhafter Deutlichkeit, denn es geht um Jugendliche und Kinder. Obwohl der russisch-georgische Krieg erkennbar den Erfahrungshintergrund bildet, bleibt die erzählte Welt in geografischer und historischer Hinsicht unbestimmt. In einem atemlosen, bisweilen geradezu stakkatohaften Rhythmus schildert der Roman drei Tage im Leben zweier 13-jähriger georgischer Mädchen, und lässt sie als Erzählstimmen zu Wort kommen – in einer rauhen, eigenartig männlich wirkenden Sprache, durch die doch immer wieder die Verletzlichkeit der Mädchen scheint.
Die Aufregungen der Pubertät und die Schrecken des Krieges liegen in diesem Text nah beieinander. Während Mütter um ihre gefallenen Söhne trauern, flirten die Mädchen mit Wachposten und probieren die ersten Zigaretten. Materielle Not treibt die Freundinnen zu immer gefährlicheren Abenteuern, bis sie irgendwann Drogen in Pilzkörben schmuggeln. Dass nur eines der beiden Mädchen das überlebt, erfährt der Leser lediglich in Form von Andeutungen.
Ein Romandebüt von großer emotionaler Wucht und verstörender Authentizität, dem man, obwohl es nicht ausdrücklich an junge Leser adressiert ist, eine intensive Rezeption im jugendliterarischen Kontext wünschen möchte.

  Nominierungen 2013 Sachbuch
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Heute bin ich


von Mies van Hout (Text, Illustration)
Ab 3 Aracari VErlag EUR 13,90

 Jurybegründung
Auf schwarzem Grund erstrahlen die 20 in Pastell und Wachskreide ausgeführten Zeichnungen Mies van Houts. Fische sind zwar bekanntlich stumm, aber diese hat die Künstlerin mit einer sprechenden Mimik ausgestattet. Ohne auch nur in die Nähe einer seichten Anthropomorphisierung oder simplen Typisierung zu geraten, fand sie auf diese Weise zu symbolhaften Darstellungen menschlicher Gefühle, die eine sehr suggestive Wirkung entfalten. Die Bilder vermitteln viele Impulse, um mit kleineren Kindern über die dargestellten Gefühle ins Gespräch zu kommen. Sie bieten aber auch Anlass zum Nachdenken über die Wirkung der Bildsprache und die Gründe für das „Funktionieren“ der Symbole als Bedeutungsträger.

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Planet Willi
von Birte Müller (Text, Illustration)
Ab 4 Klett Kinderbuch, EUR 13,90

Jurybegründung
Planet Willi erzählt in Bild und Text vom Leben mit einem ganz besonderen Kind, das in seinem Denken und Fühlen, in seinem Verhalten und seiner Körperlichkeit so anders ist, dass es wohl von einem anderen Stern kommen muss. Auf den Doppelseiten werden einzelne Aspekte dieses Andersseins dargestellt oder Situationen beschrieben, in denen es besonders deutlich wird. Die leuchtenden Farben der naiv gemalten Bilder unterstreichen die warmherzige Grundstimmung der Texte, die Trauer und Irritation nicht verschweigen. Die Metapher vom „anderen Planeten“ drückt vor allem Wertschätzung und Respekt aus und die Weigerung, das Kind durch pathologisierende Begriffe klein zu reden. Die Bilder hat Birte Müller erklärtermaßen so gemalt, dass sie auch auf „Planet Willi“ Gefallen finden. Welche Prozesse interplanetarischen Verstehens dieses Bilderbuch darüber hinaus in Gang setzen kann, wird sich sicher noch zeigen. Davon unbenommen ist es ein künstlerisch überzeugendes Dokument der Verarbeitung einer persönlichen Erfahrung.

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Entdecke, was dir schmeckt


Kinder erobern die Küche
Ab 8 Beltz & Gelberg EUR 16,95

Jurybegründung
Entdecke was dir schmeckt ist ein ästhetisch ansprechendes Buch zum Thema Ernährung – also weit mehr als eine Sammlung von Kochrezepten. Das abwechslungsreiche, aber gut strukturierte Layout macht Lust aufs Selbermachen und gibt viele allgemeine Anregungen und Informationen. Zum Beispiel über das Einkaufen, über Küchengeräte, Ökologie und Lebensmittelchemie und über die Entstehung von Geschmack und Geruch. Rezepte gibt es natürlich auch, und zwar solche, mit denen auch ungeübte Kinder zurechtkommen können, schrittweise aufgebaut und mit originellen, Appetit anregenden Fotos und gut verständlichen Texten erklärt.

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Wilhelms Reise


Eine Auswanderergeschichte
von Anke Bär (Text, Illustration)
Ab 8 Gerstenberg Verlag, EUR 14,95

Jurybegründung
Das Buch vermittelt eine Fülle altersgerecht präsentierter Informationen rund um das Thema „Übersee-Auswanderung“. Aufgemacht wie ein Skizzenbuch, das ein Passagier auf einem Auswandererschiff angelegt haben könnte, zeigt es unter anderem Kochrezepte, Seemannsknoten, nautische Geräte und Postkarten und gibt Einblicke in das Problem der Hygiene an Bord. Die zurückhaltende Farbgebung in Braun- und Petroltönen erinnert an die Sepiafarbe alter Fotografien. Die Konzentration auf die Lebensgeschichte eines Einzelnen ermöglicht Kindern einen emotionalen Zugang zum Thema, die Vielfalt der Sachinformationen macht seine allgemeine Bedeutung klar. Das aus einem Projekt des „Deutschen Auswandererhauses Bremerhaven“ hervorgegangene Erstlingswerk von Anke Bär ist eine gelungene Übertragung eines museumspädagogischen Konzeptes auf das Medium Buch und ein respektabler Beitrag zur „Geschichte von unten“.

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Make Love


Ein Aufklärungsbuch
von Ann-Marlene Henning und Tina Bremer-Olszweski
Fotografie Heji Shin
Ab 14 Rogner & Bernhard EUR 22,95

Jurybegründung
Ein Buch über Sexualität für Jugendliche, das nicht zuletzt durch die Bebilderung mit Heji Shins Fotografien authentisch vermittelt, wie wenig sich der menschliche Körper und das menschliche Begehren normieren lassen. Der Text bietet viele Informationen zu Themen, die bislang in Aufklärungsbüchern für Jugendliche ausgespart wurden, wirbt für Behutsamkeit und Sensibilität im Umgang mit den eigenen Wünschen und denen des Partners oder der Partnerin, macht Mut zu neuen Entdeckungen und zeigt, dass es sich lohnt, die Lust zu kultivieren. Immer wieder werfen die Verfasserinnen kritische Seitenblicke auf die Inszenierung von Sexualität in der Werbung und in der Pornografie, was angesichts der Tatsache, dass immer mehr Kinder und Jugendliche ihr Wissen über Sexualität aus dem Internet beziehen, von großer Wichtigkeit ist. Der Tonfall ist angenehm sachlich, die Darstellung detailliert und präzise und die Balance zwischen Informationsgehalt und persönlicher Ansprache angemessen.

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Der Boxer


Die wahre Geschichte des Hertzko Haft
von Reinhard Kleist (Text, Illustration)
Ab 16 Carlsen Verlag, EUR 16,90

Jurybegründung
Der Boxer ist die dritte und thematisch brisanteste der grafischen Biografien von Reinhard Kleist. Es ist die Geschichte des polnischen Juden Hertzko Haft, der die Konzentrationslager überlebte, weil die Nazis ihn dort als Boxer auftreten ließen. Grundlage der Graphic Novel ist eine von Hertzko Hafts Sohn in englischer Sprache verfasste Biografie, die 2009 auch auf Deutsch erschienen ist. Bereits hier wird mit schonungsloser Offenheit dargestellt, wie die furchtbaren Erlebnisse den Vater beschädigt und seine Beziehung zum Sohn beeinträchtigt haben. In seiner Adaption thematisiert Kleist das komplizierte Verhältnis von Vater und Sohn in einer Rahmenhandlung, die auch grafisch von der eigentlichen Biografie abgehoben wird. So fasst er die Erinnerungen in Bilder und zeigt, wie sie die Gegenwart verfinstern. Die für den Künstler charakteristischen kleinformatigen, expressiven Schwarzweißzeichnungen liefern dafür ein sehr angemessenes Instrumentarium. Eine Vorform des Werkes erschien bereits 2011 als Fortsetzungs-Comic in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie wurde für das Buch erheblich erweitert und hinsichtlich des Seitenaufbaus umgestaltet.

  Nominierungen 2013 - Preis der Jugendjury
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Das Schicksal ist ein mieser Verräter


von John Green. Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
Ab 13 Carl Hanser Verlag, EUR 16,90

zur Rezension

Jurybegründung
„Ich bin eine Bombe (...) Und deshalb halte ich mich lieber fern von allen, lese Bücher, denke nach und hänge mit euch rum, weil ich nichts dagegen machen kann, dass ich euch mit ins Unglück reiße. (…) ich kann kein normaler Teenager sein, weil ich eine Bombe bin.“
Zunächst könnte man meinen, Das Schicksal ist ein mieser Verräter sei ein deprimierendes Buch. Aber das stimmt nicht. Es ist ein Buch, das den Leser gleichzeitig zum Lachen wie zum Weinen bringt und zum Nachdenken anregt. Die ironische, fast schon sarkastische Art, wie Green die beiden Hauptpersonen, die 16-jährige Hazel und den 17-jährigen Augustus, mit ihrer Krebserkrankung umgehen lässt – jeden auf seine ganz eigene Weise –, ist bewundernswert erfrischend.
Trotz der humorvollen Herangehensweise verharmlost das Buch die Krankheit nicht. Die Geschichte wirkt authentisch, besonders durch die Beschreibung des Alltags, der geprägt ist von der Krankheit sowie von ganz normalen Sorgen Heranwachsender. Die Protagonisten wachsen dem Leser ans Herz. Und obwohl es für die meisten unvorstellbar ist, in ihrer Situation zu sein, fühlt, leidet, kämpft und liebt man mit ihnen. Am Ende versteht man, welch starke Kraft die Liebe selbst in einer ausweglos erscheinenden Situation entwickeln kann. Ein Buch, das Mut macht!

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Jackpot


Wer träumt, verliert
von Stephan Knösel
Ab 13
Beltz & Gelberg, EUR 13,95

zur Rezension

Jurybegründung
Chris hat kein einfaches Leben: Seine Mutter ist gestorben, sein Vater auf Entzug. So wohnt er allein mit seinem fast volljährigen Bruder – und muss dabei jeden Cent zweimal umdrehen.
Als er beim Lauftraining in der Nähe seiner Wohnung einen Autounfall beobachtet, will er dem bewusstlosen Fahrer helfen, sucht den Erste-Hilfe-Kasten im Kofferraum und findet dort ein Mädchen. Sie bittet ihn, eine Tasche, die sie bei sich trägt, zu verstecken. Chris zögert, doch als sie ihm erzählt, in der Tasche sei eine Menge Geld und er bekäme eine Belohnung, willigt er ein. Am nächsten Tag versucht das Mädchen, Chris zu kontaktieren – ohne Erfolg. Und nicht nur sie will die Tasche finden. Auch die Polizei ist dem Geld auf der Spur.
Die Charaktere sind vielschichtig; niemand ist eindeutig gut oder böse. Chris etwa ist sympathisch, aber natürlich will er das Geld für sich und seinen Bruder behalten. Neben der leichten, ungezwungenen Sprache, ist es vor allem die Erzählweise, die Jackpot so besonders macht. Stephan Knösel schafft es, die Handlung ständig in eine andere Richtung zu lenken. Nichts ist so wie es scheint, immer wieder gibt es spannende Wendungen, an vielen Stellen wird der Leser an der Nase herumgeführt. Ein packender und actionreicher Roman, dessen Ende man so nicht erwartet hätte.

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Finding Sky


Die Macht der Seelen
von Joss Stirling. Aus dem Englischen von Michaela Kolodziejok
Ab 13 dtv, EUR 16,95

Jurybegründung
Die 16-jährige Sky ist mit ihren Eltern von England in die USA gezogen. An der neuen High School macht sie eine Entdeckung, die nicht ganz ungefährlich ist. Durch den coolen Zed erkennt sie, dass sie wie er und seine Familie über besondere Fähigkeiten verfügt. Auf die beiden warten unwägbare Abenteuer und eine Liebesgeschichte.
Was macht dieses Buch so außergewöhnlich? Es setzt Gefühle frei, Freude und Lachen; an anderen Stellen ist es so traurig, dass man weinen muss. Die Geschichte hat bis zum Ende einen sich stetig aufbauenden Spannungsbogen, der perfekte Mix aus Romantik und Action ist auch für Jungen interessant. Die Figuren sind unglaublich realitätsnah, vor allem Sky wirkt verletzbar und stark zugleich und ist eine wunderbare Identifikationsfigur. Und Zeds Familie ist so beschrieben, dass man meint, mit ihr am Tisch zu sitzen. Gleichzeitig wird aber nicht alles vorweggenommen und in der Figurenzeichnung bleibt Raum für die eigene Phantasie. Das Buch eröffnet eine faszinierende, neue Welt, von der sich der Leser vorstellen kann, dass es sie tatsächlich geben könnte.
Wir haben den Text auch auf Englisch gelesen. Die Übersetzung ist solide, der Originalton wird konsequent und im Stil einheitlich wiedergegeben, auch wenn in der Wortwahl der Originalversion Skys Zerrissenheit noch deutlicher zum Ausdruck kommt. Dennoch: eine überzeugende Geschichte, die jeder lesen sollte!

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Allein unter Schildkröten


von Marit Kaldhol
Aus dem Norwegischen von Maike Dörries
Ab 14 mixtvision EUR 12,90

Jurybegründung
Allein unter Schildkröten setzt sich mit einem Selbstmord unter Jugendlichen auseinander – das allein ist nichts Neues. Doch Marit Kaldhol hat das Thema ganz neu behandelt. Schon zu Anfang des Buches ist klar: Am Ende wird Mikke tot sein und nichts kann das ändern. Erst wird in kurzen Tagebucheinträgen die Geschichte aus der Sicht des Jungen erzählt, der scheinbar gar keinen Grund hat, so unglücklich zu sein. Anschließend findet man Erinnerungen der Mutter, die sie direkt an ihren Sohn adressiert. Darauf folgen Briefe von Hinterbliebenen an Mikke, die trauern und nach dem Warum fragen. Die Überlegung, was Mikke dazu getrieben haben könnte, sein Leben zu beenden, bleibt allgegenwärtig und wird schnell vom Leser selbst angestellt. Auch das unterscheidet Allein unter Schildkröten von anderen Selbstmordbüchern.
Mikke hat eine Freundin, eine Mutter, die in liebt, und er träumt davon, Meeresbiologe zu werden. Aber er hat keinen Antrieb mehr. Ohne Kitsch und Dramatik kann der Leser die tragische Geschichte miterleben und hat den schmalen Band innerhalb von Stunden verschlungen. Alles in allem ein etwas anderes Buch zum Thema Depression und zum Selbstmord eines Jungen auf dem Weg ins Erwachsenendasein. Sehr ergreifend und nüchtern zugleich!

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Kriegszeiten


Eine grafische Reportage über Soldagen, Politiker und Opfer in Afghanistan
von David Schraven (Text) und Vincent Burmeister (Illustration)
Ab 14 Carlsen EUR 16,90

Jurybegründung
Auf so ein Buch stößt man nicht alle Tage: Kriegszeiten ist eine dokumentarische Graphic Novel. Eindrucksvoller und nachdrücklicher als ein Sachbuch, bildgewaltiger und atmosphärisch dichter als eine TV-Dokumentation, zeigt es den Afghanistan-Einsatz der deutschen Bundeswehr in einem ganz neuen Licht. Vielleicht ist es kein schönes Buch. Aber das wird auch nicht die Absicht des Autors David Schraven gewesen sein. Vielmehr dokumentiert er nach aufwändiger Recherchearbeit das, was in den deutschen Medien viel zu selten thematisiert wird: den Krieg in Afghanistan. In Interviews, vertraulichen Unterlagen der Bundeswehr und alten Fernsehaufnahmen erzählt er von Kämpfen, den Schwierigkeiten der „Aufbauhilfe“ und dem Verhalten der deutschen Politiker. Die Nüchternheit der Reportage lässt den Leser die Problematik besser begreifen; es wird darauf verzichtet, belehrend aufklärerisch den Zeigefinger zu erheben. Klare Sätze und anschauliche Details prägen Schravens Sprache. Die Zeichnungen von Vincent Burmeister sind düster und dreifarbig. In Nahaufnahmen, Landschaftsansichten und schattenhaften Porträts fängt er die Stimmung zwischen Soldaten, Politikern und Warlords ein. Mit dem Buch lernt man verstehen, was in Afghanistan geschah und geschieht. Die erschreckendste Erkenntnis ist wohl, wie wenig man von all dem in Deutschland mitbekommt. Kriegszeiten weckt auf und stimmt nachdenklich. Nach dem Lesen bleibt das Gefühl zurück, von Politik und Medien für dumm verkauft worden zu sein.

 

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Adios, Nirvana


von Conrad Wesselhoeft. Aus dem Englischen von Karsten Singelmann
Ab 14 Carlsen EUR 9,95

Jurybegründung
Ein Buch, das man hören kann! Seine eigenwillig poetische und musikalische Stimme beflügelt die Leser. Jonathan versucht, den Tod seines Zwillingsbruders Telly zu verarbeiten. Trotz des Beistandes seiner Freunde gelingt es ihm nicht, sein Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Der Autor entwickelt kraftvolle Bilder für Jonathans Gefühle und stellt ihren Wandel situativ wie sprachlich überzeugend dar. Die schlagfertigen Dialoge unter Jugendlichen bestechen durch glaubwürdige Originalität.
Ein Ultimatum seiner Lehrer zwingt den Jungen, die Memoiren eines Kriegsveteranen aufzuschreiben. Die Konfrontation der Generationen ist in seiner Darstellung unerwartet bitter und komisch. Da sich Jonathan in dieser Zeit keinen Schlaf leisten kann, bekämpft er seine Müdigkeit mit Energydrinks und Aufputschpillen. Die literarische Umsetzung der Rastlosigkeit erzeugt eine beeindruckend dichte, mitreißende Atmosphäre. Jonathan überwindet seinen Verlust mithilfe von Poesie und Musik. Die leidenschaftliche, facettenreiche Schilderung der Musik und die lyrischen Passagen geben der Geschichte eine nachhaltige Intensität. Die ausdrucksstarke Klangfarbe des Textes wurde von Karsten Singelmann treffend ins Deutsche übertragen.

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