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Gwen Der Lehrling des Heilers

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Gwen Der Lehrling des Heilers

 

von Francois Place

Der Geschichte ist so vielschichtig und voller Überraschungen, dass sie sich schwer einem Genre zuordnen lässt. Es ist keine Parallelwelt-Story oder gar ein  Zeitreiseroman im herkömmlichen Sinne, wie der Klappentext vermuten läßt. Dankenswerterweise muss man sagen, da der Buchmarkt in den letzten fünf Jahren wahrlich überschwemmt wurde von guten und weniger guten Kinder- und Jugendromanen dieser Art. Es handelt sich auch nicht um einen historischen bzw. medizin-historischen Roman, obwohl der Kontrast zwischen Naturheilkunde und den Anfängen der klassischen Medizin, vor allem der Anatomie, wie ein roter Faden die Geschichte durchwirkt. 

Hinsichtlich der historischen und politischen Intension des Autors müssen die verschiedenen Interpretationsebenen berücksichtigt werden. Allerdings werden sie in allen Ebenen, auch bei oberflächlicher Auslegung der Geschichte zum Beispiel bei der Beschreibung der frühindustriellen Produktionsweisen der Arbeit in den Eisenhütten, deutlich. Ebenso bei der Beschreibung des fiktiven Landes in dem Gwen, der Hauptprotagonist, aufgrund seltsamer Umstände landet. Dort herrscht eine Minderheit, die gestützt durch einen Apparat von Zöllnern, Spitzeln und Wachposten die Bevölkerung und deren Bewegungsfreiheit sowie Handlungsmöglichkeiten streng reglementiert und einschränkt. Wer dem System negativ auffällt, läuft Gefahr sein Leben zu verlieren, oder zu Zwangsarbeit verurteilt zu werden, was einem langsamen Tod entspricht. Berücksichtigt man, in welcher Zeit der Autor die Geschichte spielen läßt, (1914-18), dann lassen sich die Erlebnisse des jugendlichen Protagonisten noch ganz anders interpretieren. Dann könnte man dem Roman noch zusätzlich das Etikett: Antikriegsgeschichte anheften. 

Einen zusätzlichen Reiz erhält der Roman durch die Symbolkraft des Autors. Sowohl durch die Interpretationsspielräume die sich dadurch eröffnen, als auch durch die mythischen Elemente und erfundenen Figuren die er mit in die Geschichte einbringt. Beispielsweise den personifizierten Tod "Ankou", oder den Vogel Pipilus Melancolicus, den kauzigen Gefährten der Heiler.

Zum Inhalt:

Eigentlich ist die Heimat Gwens die Bretagne. Dort lebt er zusammen mit seiner Mutter unter sehr ärmlichen Umständen in einem Fischerdorf. Durch Unfall und Krankheit schwer angeschlagen, wird er zum Gespött gleichaltriger und älterer Jungen im Dorf. Einzig der "alte Braz", der Heiler des Ortes, ist ihm freundlich gesinnt, er nimmt den Jungen als Helfer und Lehrling an. Von ihm lernt Gwen auch die Grundlagen der Naturheilkunde. Als der alte Braz stirbt, ist Gwen wieder alleine und schutzlos. Er wird überfallen, gequält. Von Angst und Albträumen geplagt, zieht er sich immer weiter zurück, wird schwächer und schwächer. Einer der Albträume wird Wirklichkeit, glaubt man dem Erzähler, denn Gwen erlebt wie der "Ankou", der nach bretonischer Überlieferung als personifizierter Tod gilt, ihn abholt und auf seinem Karren mitnimmt.

Am nächsten Morgen wacht Gwen nicht wie von ihm vermutet, im Totenreich auf, sondern an einer ihm unbekannten Küste. Von Wachposten aufgegriffen beginnt seine Odysee über viele verschiedene Stationen in diesem rückständigen Land. Seine Heilkünste, seine Wissbegier und Neugier, aber auch seine Wegbegleiter, die es gut mit ihm meinen, allerdings meist verbunden mit einem gewissen Eigennutz, sichern ihm das Überleben, darüber vergißt er trotzdem nie, dass es nicht seine Welt ist, in der er lebt.

Auf die selbe sagenumwobene Art wie er sie verlassen hat, landet er 4 Jahre später wieder in seiner Heimat, der Bretagne. Inzwischen schreiben wir das Jahr 1918 und Gwen hat in seiner Welt der Phantasie, in der er vier Jahre gelebt hat, alle Schreckensszenarien des 1. Weltkrieges miterlebt. 

Denn wie alle anderen männlichen Bewohner seines Dorfes, war er auch in dem Alter eingezogen zu werden und der Gefahr ausgesetzt diesen Kriegseinsatz mit dem Tode bezahlen zu müssen. Während die anderen Jugendlichen freudig in den Krieg ziehen, sieht er die Todesgefahr und versteckt sich im Wandschrank voller Angst davor geholt zu werden. Sinnbildlich dafür steht der "Ankou" der ihn abholt.

Er wird dann an eine ferne Küste gebracht, dort gibt es einen repressiven Machtapparat, der ihn instrumentalisiert (die Armee) und ihn unter Androhung von Todesstrafe oder Zwangsarbeit zwingt, seiner Arbeit nachzugehen. Durch seine medizinischen Grundkenntnisse landet er in einer Schmiede die Schiffe flott macht und Waffen produziert, (die Kriegsmaschinierie) dort assistiert er einem Arzt der vor allem Ambutationen vornimmt, auch da die Parallelen zu den schlimmen Kriegsverletzungen im 1. WK.

Warum ich dieses Buch trotzdem auch in der Kategoire "ab 12/13" eingestellt habe:

Die Geschichte liest sich gut, die verschiedenen Lesarten, insbesondere die, die Parallelwelt als Kriegsschauplatz zu sehen, wird sich dem jungen Leser erst später erschließen. Zuvor ist es einfach eine gut erzählte Geschichte um einen erstaunlichen jungen Helden.

 

Gerstenberg Verlag, 347 S. EUR 16,95

 

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