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Kinder- und Jugendliteraturpreis 2022

Die Nominierungen:

 Nominierungen in der Kategorie Bilderbuch

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Berg

Ein Tag mit Papa
von Pete Oswald (Text und Illustration)
 
Nominierung Bilderbuch
Jurybegründung

Verheißungsvoll verweisen die im Kinderzimmer platzierten Ausrüstungsgegenstände und Naturführer auf ein besonderes Vorhaben. Ein Vater weckt sein Kind und schon springt es hoch, zieht sich an und packt den Rucksack. Das lässt sich in den Bildern en détail nachvollziehen. Los geht’s aus der Stadt in die Berge. Das Abenteuer beginnt – ein gemeinsamer Tag draußen in atemberaubend schöner Landschaft. Die warmen, abwechslungsreichen Illustrationen lassen uns die Unternehmungen der beiden hautnah miterleben. Viel ist zu entdecken, gefährliche Situationen sind zu überwinden, ein Wasserfall rauscht, hoch oben liegt Schnee, die weiten Landschaftspanoramen sind zu bestaunen. Und der liebevoll zugewandte Erwachsene traut dem Kind eine Menge zu.

Diese Geschichte bedarf fast keiner Worte, zu Recht glaubt Pete Oswald an die Kraft seiner Bilder, deren handwerkliche Textur die Verbundenheit mit der Natur feiert. Zugleich legt er gekonnt visuelle Fährten, die zum Kombinieren und Assoziieren einladen und sogar in die Familiengeschichte führen. In seinem Debüt als Autor und Illustrator in Personalunion regt Pete Oswald überzeugend dazu an, miteinander in die Natur zu gehen, eigene Rituale zu entwickeln und sich darüber auszutauschen!

Von Hacht 14,00 € (D) Originalsprache: Textlos
Nominierung 2022, Kategorie: Bilderbuch
Ab 3 Jahren

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Unsere Grube


Emma Adbåge (Text),
Emma Adbåge (Illustration),
Friederike Buchinger (Übersetzung)

Nominierung Bilderbuch
Jurybegründung

Unsere Grube erzählt von der Bedeutsamkeit unbeobachteter Kindheit, wie Kinder Spielräume einnehmen und aus nichts etwas machen. Der Abenteuerspielplatz ist hier eine ehemalige Kiesgrube hinter der Turnhalle, wo herumliegende Äste und große Steine unerschöpfliche Spielideen unter den Kindern hervorbringen. Doch die Aufsicht führenden Lehrkräfte sehen das anders: Der Ort sei viel zu gefährlich. Eine Entscheidung der Erwachsenen macht die Kinder zu Verlierern. Aber nur für kurze Zeit!

Die schwedische Bilderbuchkünstlerin Emma Adbåge stellt sich in Text und Bild auf die Seite der Kinder, zeichnet sie mit Feingefühl und charmantem Witz. Sie sind die Sympathieträger auf den aquarellierten Bildern in naturnahen Farbtönen. Ohne jedes Klischee bestärkt dieses Bilderbuch das untrügliche Gespür der Kinder für das, was sie wirklich zum Spielen brauchen. Die Übersetzung von Friederike Buchinger trifft den genau richtigen Ton für die Ich-Erzählerin.

Beltz & Gelberg 14,00 € (D) Originalsprache: Schwedisch
Nominierung 2022, Kategorie: Bilderbuch
Ab 4 Jahren

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Ein Museumstag

Susanna Mattiangeli (Text),
Vessela Nikolova (Illustration),
Lucia Zamolo (Übersetzung)
 
Nominierung Bilderbuch
Jurybegründung

Was für ein schöner Tag, dieser Museumstag! Mit der Ich-Erzählerin und ihrer Schulklasse gehen wir betrachtend durch die Betriebsamkeit des Eingangsbereichs und dann hinein in die Ausstellungsräume. Die Kinder erschließen sich auf den folgenden Seiten mit großem Interesse die Räume und Exponate. Da wird gestaunt, verglichen, sich gewundert: über die Kunst, über die Frage, wie dieser oder jener Künstler wohl gearbeitet haben mag, aber auch über die anderen Leute, die sich dem Kunstgenuss widmen. Das Museum erweist sich als Ort für alle, wo man umherstreifend ganz kurzweilig der Kunst begegnet, im Museumsshop ein kleines Erinnerungsstück erwirbt, sodass es einen schließlich drängt, sich selbst zu erproben. Die stilisierten Gemälde an den Wänden, die Skulpturen auf ihren Sockeln sind mit geübterem Blick als Kunstzitate zu erkennen.

Susanna Mattiangeli zeigt das Museum als Erlebnis- und Begegnungsort, an dem die Kunst eine Menge zu erzählen hat und das Zusammensein mit anderen Menschen eigene Zugänge eröffnet. Die detailreichen Aquarellskizzen von Vessela Nikolova unterstreichen aufmerksam und augenzwinkernd zugleich diese überaus anregende Entdeckungstour, alles feinsinnig übersetzt von Lucia Zamolo.

Bohem 15,00 €  (D) Originalsprache: Italienisch
Nominierung 2022, Kategorie: Bilderbuch
Ab 4 Jahren

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Alle zählen

Kristin Roskifte (Text),
Kristin Roskifte (Illustration),
Maike Dörries (Übersetzung)

Nominierung Bilderbuch
Jurybegründung

Schon das knallbunte Cover macht neugierig: dicht gedrängt jede Menge Menschen, die Plakate mit den Großbuchstaben des doppeldeutigen Titels halten. Innen kontrastreich Leere, eine fein gestrichelte Waldszene, dazu eine blaue Null. Auf der nächsten Seite mit der Zahl Eins die erste Person, ein Junge, der den Nachthimmel betrachtet und sich fragt, wie viele andere in genau diesem Moment dieselben Sterne sehen. Aufsteigend folgen immer höhere Zahlen und größere Personengruppen, die sich am Ende zur gesamten Menschheit auf dem Planeten Erde addieren.

Bei diesem außergewöhnlichen Wimmelbuch geht es um weit mehr als um Zahlen und ums Zählen. Die plakativen Figuren, die bei genauer Betrachtung individuelle, wiedererkennbare Züge tragen und aufs Schönste Diversität feiern, agieren miteinander an den unterschiedlichsten Schauplätzen. Von Seite zu Seite entwickelt sich ein zunehmend vielfältiger verknüpftes Beziehungsnetz. Ergänzt wird das Abgebildete am unteren Rand der (Doppel-)Seiten durch eine schmale Textleiste mit prägnant von Maike Dörries ins Deutsche übersetzten Informationen. Die kurzen Texte ziehen komplexe Fragen nach sich und regen an zum Blättern, Suchen, Ausdenken immer neuer Geschichten sowie zum Philosophieren über Zufälle, Zusammenhänge und unser aller Miteinander.

Gerstenberg 18,00 € (D) Originalsprache: Norwegisch
Nominierung 2022, Kategorie: Bilderbuch
Ab 5 Jahren

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Es war einmal und wird noch lange sein

Johanna Schaible (Text),
Johanna Schaible (Illustration)

Nominierung Bilderbuch
Jurybegründung

„Vor Milliarden von Jahren formte sich das Land.“ So beginnt eine ästhetische Reise durch Raum und Zeit der Erde hin zu uns Menschen und wie wir die Abfolge von Ereignissen wahrnehmen. In immer kürzer werdenden Zeitsprüngen nähern wir uns blätternd der Gegenwart, dem „Jetzt!“. Und dann? – „Wünsch Dir was!“, heißt es in der Buchmitte und damit geht die Reise weiter Richtung Zukunft, nach vorn in immer größere Zeit- und Bildräume hinein. Die Betrachter:innen werden nun mit „Du“ angesprochen und zu persönlicher, nahezu philosophischer Auseinandersetzung in die Möglichkeiten der Zukunft hinein begleitet: fragend, offen, sich annähernd an alles, was vor jedem von uns liegen mag, wir aber noch nicht wissen können.

Das Bilderbuch versetzt durch die perfekte Übereinstimmung von Inhalt und Form in Erstaunen. Ein ausgeklügeltes Konzept von Seitengrößen und -formaten rahmt die Reise in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die Bildmotive sind kongenial auf die knappe Satzaussage jeder Doppelseite gepasst. Die Bilder in Aquarell und Acryl, vielfältig gestaltet, collagiert und geschichtet, faszinieren durch das gekonnte Zusammenspiel von Farben, Flächen und Strukturen. Das ist Bilderbuchkunst, die alle Möglichkeiten auf das Feinste ausschöpft.

Hanser 18,00 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Bilderbuch
Ab 5 Jahren

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Ich bin wie der Fluss

Jordan Scott (Text),
Sydney Smith (Illustration),
Bernadette Ott (Übersetzung)

Nominierung Bilderbuch
Jurybegründung

Der Dreiklang von Text, Bild und Typografie in diesem berührenden Bilderbuch gibt tiefen Einblick in das Innenleben eines stotternden Kindes. Bereits morgens nach dem Aufwachen stellen sich die Worte im Mund des Ich-Erzählers kreuz und quer. Das steigert sich in der Schule, bis ihn sein Vater abholt und zum Fluss mitnimmt. Der Anblick des sprudelnden, gischtenden und tosenden Flusses hilft dem Kind, sich und sein Sprechen besser zu verstehen. Es fühlt sich getröstet und bestärkt, indem es sich selbst sagen kann: „Ich bin wie der Fluss.“

Jordan Scott hat für die traumatischen Erfahrungen des Stotterns eine authentische und zugleich poetische Sprache gefunden. Sydney Smith wechselt von pigmentierten zerlaufenden Bildern, die uns die Qualen des Jungen spüren lassen, zu kräftigen Sequenzen, in denen er die Schönheit und Wildheit des Wassers mit den sich verändernden Gefühlen des Jungen kombiniert, bis sie in einem gigantischen Panoramabild kulminieren, in dem sich der Junge ins funkelnde Wasser begibt. Bernadette Ott macht mit ihrer bildhaften, klanglichen Übersetzung den Gefühlsraum des Kindes physisch wahrnehmbar. Große Bilderbuchkunst!

Aladin 18,00 € (D) Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Bilderbuch
Ab 5 Jahren

Nominierungen in der Kategorie Kinderbuch

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Hey, hey, hey, Taxi!

Saša Stanišić (Text),
Katja Spitzer (Illustration)

Nominierung Kinderbuch
Jurybegründung

Mit diesem Vorlesebuch erleben wir Fabulierkunst par excellence. Spritzige, verrückte und assoziativ-nonsenshafte Episoden werden durch eine immer wiederkehrende Handlung locker gerahmt. Alle Geschichten beginnen mit dem Ruf „Hey, hey, hey, Taxi!“, der Ich-Erzähler steigt in ein Taxi ein, fährt irgendwohin und kehrt am Ende „nach Hause, nach Hause zu dir zurück“. Die Fahrten sind unterschiedlich lang. Mal sind sie ganz „blitzig“, mal führen sie zu Begegnungen mit Piraten auf hoher See, die zu Landratten werden, zu kurzhalsigen Giraffen, die traurig-lustige Lieder singen, und zu einem König, der die Erde für den Kopf eines Riesen hält. Taxis und Taxifahrer:innen werden in den vielgestaltigen Geschichten kreativ variiert. Schwungvolle Dialoge verleihen den unterschiedlichen Szenen einen ironisch-parodistischen Charakter. Der mündliche Ton des Erzählens und viele Worterfindungen prägen die phantasievolle Sprache von Saša Stanišić. Katja Spitzers schrill-bunte, comic-hafte Bilder in Pop-Up-Ästhetik, gepaart mit surrealen Elementen, bereichern den unterhaltsam-verrückten Leseeindruck. Der lädt ein zum Miterzählen und Variieren der Sujets.

mairisch 18,00 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Kinderbuch
Ab 6 Jahren

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Schön wie die Acht

Nikola Huppertz (Text),
Barbara Jung (Illustration)

Nominierung Kinderbuch
Jurybegründung

„Gewohnheiten sind wie Mathematik. Beide funktionieren immer, immer gleich.“ Zahlen und Formeln sind berechenbar und geben dem mathematikbegeisterten Malte ein Gefühl von Sicherheit. Dieses wird außer Kraft gesetzt, als seine bisher unbekannte Halbschwester Josefine in sein geordnetes Leben platzt. Malte sieht sich auf einmal mit der Vergangenheit seiner Eltern und ihren Lügen konfrontiert. Hinzu kommt, dass es auch im Matheclub für ihn nicht mehr rund läuft, eine Konkurrentin auftaucht, die ihn aber zugleich auch irgendwie fasziniert. Die Gefühlsschwankungen der einsetzenden Pubertät und brisante Themen wie ungewollte Schwangerschaft und Brustamputation lassen sich nicht mehr mit Logik auflösen, muss Malte feststellen. Dabei steht ihm Josefine zur Seite, die ihm die Augen für neue, emotionale Dimensionen des Lebens öffnet.

All diese Sujets werden geradlinig, unaufgeregt und mit einer unvergleichlichen Selbstverständlichkeit erzählt. Die sprachliche Gestaltung ist abwechslungsreich, umfasst lakonisch-prosaische Passagen bis hin zu stimmungsvollen Gedichten mit Zahlensymbolik. Die warmherzigen Schwarz-Weiß-Illustrationen von Barbara Jung, die zerbrechlich-nachdenkliche Heranwachsende zeigen, runden das gelungene Leseerlebnis ab.

Tulipan 14,00 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Kinderbuch
Ab 10 Jahren

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Mein geniales Leben

Jenny Jägerfeld (Text),
Birgitta Kicherer (Übersetzung)

Nominierung Kinderbuch
Jurybegründung

Die Handlung dieses schrägen Romans ist skurril und herausragend zugleich: Der 12-jährige Sigge, der Eiskunstlauf liebt und in seiner Selbstwahrnehmung ein schielendes „Zombieauge“ hat, zieht mit Mutter und Schwestern von Stockholm in die schwedische Ortschaft Skärblacka. Dort führt seine schrille, schwarzhumorige und resolute Großmutter Charlotte ein kleines Hotel. Bis zum Schulbeginn in 59 Tagen soll Charlotte ihm bei seinem Imagewandel helfen, damit er endlich Freunde findet.

Der Roman entfaltet ein kurioses Figurenensemble und spannt insbesondere eine Brücke zwischen der Großeltern- und der Enkelgeneration. So verpasst Charlotte Sigge nicht nur eine coole Frisur, sondern versucht, das Selbstbewusstsein ihres unsicheren Enkels zu stärken. Bald bahnt sich eine Freundschaft mit der gleichaltrigen Juno an, wobei ein reisender Gartenzwerg eine wichtige Rolle spielt. Ganz nebenbei werden aktuelle Themen wie Cybermobbing, Diversität und Inszenierung auf Social Media verhandelt. Birgitta Kicherers Übersetzung bringt die vielschichtige, teilweise flapsige Sprache mit ihren kreativen Neologismen und elliptischen Sätzen hervorragend zur Geltung und wird den witzigen Dialogen und der Situationskomik gerecht.

Urachhaus 19,00 € (D)  Originalsprache: Schwedisch
Nominierung 2022, Kategorie: Kinderbuch
Ab 10 Jahren

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Die Welt, von der ich träume

Marie Pavlenko (Text),
Cornelia Panzacchi (Übersetzung)

Nominierung Kinderbuch
Jurybegründung

In einer künftigen, von Naturkatastrophen zerstörten Welt, will die 12-jährige Samaa aus der für sie vorgesehenen, weiblichen Rolle ausbrechen. Heimlich folgt sie den Jägern ihres Nomadenstammes, die die letzten Bäume fällen, um sie zu verkaufen. Als sie nach einem Sturz in eine tiefe Grube auf sich allein gestellt ist, lernt sie das Leben mit neuen Augen zu sehen. Sie erlebt Hunger und Verzweiflung, Einsamkeit und Isolation, macht jedoch zugleich beglückende, nie gekannte Naturerfahrungen. Als sie von den Jägern gerettet wird, hat sie über das Wachstum der Bäume so viel gelernt, dass sie zwar nicht den ihr lieb gewordenen Baum in der Grube, mit ihrem Wissen aber auf lange Sicht ihren Stamm retten kann.


In klarer, fast karger Sprache, eindringlich und treffend übersetzt von Cornelia Panzacchi, erzählt diese Dystopie von einer starken Mädchenfigur und vom Überleben in einer archaisch anmutenden Welt. Die Extremsituation, in der Samaa sich befindet, ist erschütternd und lenkt den Blick auf eine existenzielle Perspektive. Zugleich ermutigt diese zähe Protagonistin: Sie gibt nie auf, und zeigt, dass wir Menschen von der Natur lernen können und müssen, um sie – nicht zuletzt für uns selbst – zu erhalten.

Thienemann 13,00 € (D) Originalsprache: Französisch
Nominierung 2022, Kategorie: Kinderbuch
Ab 10 Jahren

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Die Suche nach Paulie Fink

Ali Benjamin (Text),
Jessika Komina (Übersetzung),
Sandra Knuffinke (Übersetzung)

Nominierung Kinderbuch
Jurybegründung

Wo in aller Welt ist eigentlich der allseits beliebte und begabte Mitschüler Paulie Fink? Diese Frage stellt sich nicht nur die Ich-Erzählerin Caitlyn. In den Berichten und Beschreibungen der Kinder der siebten Klasse und des Lehrpersonals bleibt er anhand vielseitiger Dialoge, Chats, E-Mails und Interviews allgegenwärtig. Caitlyn fühlt sich zunächst ausgegrenzt, weil sich alles nur um den abwesenden Paulie dreht und sie unsicher ist, was an ihrer außergewöhnlichen neuen Schule mitten im absoluten Nirgendwo Vermonts überhaupt von ihr erwartet wird. Nun ist es an ihr, mehr über die Schullegende herauszufinden und sogar im Rahmen eines Castings zu erkunden, wer würdig ist, in Paulies Fußstapfen zu treten. Dabei findet sie zu sich selbst, ohne sich eine bestimmte Rolle aufdrängen zu lassen. Nach und nach werden zugleich die Mythen, die sich um Paulie Fink ranken, entzaubert.

Nichts ist vorhersehbar in diesem starken Roman voller unerwarteter Wendungen, treffend aktualisierter Antikenbezüge und anarchischer Momente – empathisch und mitreißend übersetzt von Jessika Komina und Sandra Knuffinke. Es ist eine klug komponierte Geschichte, deren Handlung absolut schlüssig und nachvollziehbar bleibt, was dieses Buch zu einem echten Ereignis macht.

Hanser 18,00 € (D)  Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Kinderbuch
Ab 11 Jahren

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Eine halbe Banane und die Ordnung der Welt

Sarah Michaela Orlovský (Text)

Nominierung Kinderbuch
Jurybegründung

In dieser außergewöhnlichen, poetisch verdichteten Du-Erzählung ringt ein Mädchen um die Beziehung zu ihrer älteren Schwester. In freien Versen werden ihre Erinnerungen an bessere Zeiten ebenso wie ihre Sorgen präzise und einfühlsam zur Sprache gebracht. Die Angst um die ältere Schwester, hervorgerufen durch deren psychische Erkrankung, das Leiden der ganzen Familie sind in den Worten der Jüngeren spürbar, ohne dass die Krankheit Magersucht explizit benannt wird. Die Isolation von der Familie wird durch eine Tür versinnbildlicht, hinter der sich die eine Schwester verschanzt und vor der die andere hilflos stehen bleibt. Geschildert wird die Innenperspektive einer betroffenen Familie, voller Schmerz und offener Fragen. Zugleich entfaltet sich die Außensicht auf die erkrankte Schwester, ihre Veränderung, ihr nicht nur physisches Verschwinden. Hilflosigkeit und Verzweiflung, aber auch Liebe und Hoffnung kommen im Monolog der jüngeren Schwester bewegend zum Ausdruck. Unterstrichen wird dies durch die kunstvoll-rhythmische Sprache. Das Buch sensibilisiert für die Krankheit und macht die Not des Umfelds eindrücklich erlebbar. – Eine Ausnahmeerscheinung im Kinderroman, die der Ausnahmesituation der Protagonistin gerecht wird.

Tyrolia 12,95 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Kinderbuch
Ab 11 Jahren

Nominierungen in der Kategorie Jugendbuch

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Krummer Hund

Juliane Pickel (Text)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Unkontrollierte Wutausbrüche bestimmen Daniels Leben. Vor ihm ist nichts sicher, weder Tiere noch Gegenstände, sogar Kinder greift er an. Als sein geliebter Hund Ozzy eingeschläfert werden muss und sich seine Mutter noch in der Praxis mit dem Tierarzt zu einem Date verabredet, brennen bei ihm wieder die Sicherungen durch.


Da kommt dem 15-Jährigen und seinem Freund Edgar die gemeinsame Mitschülerin Alina gerade recht, denn sie drangsaliert und tyrannisiert die gesamte Klasse. Sie wollen sich dafür rächen und schmieden zunächst Observierungspläne. Als Alinas Bruder nach einer Party angefahren und am Unfallort tot zurückgelassen wird, realisiert Daniel, dass er sich an den Abend nur noch bruchstückhaft erinnern kann. Er verrennt sich auf der Suche nach dem Täter immer tiefer in seine Anschuldigungen gegenüber dem neuen Geliebten seiner Mutter und kommt dabei Alina näher als ihm anfänglich lieb war.

Juliane Pickels Debütroman besticht durch eine raue, schonungslose Sprache. In kurzen Kapiteln schafft sie es, Wut sowie Trauer eines haltlosen Jugendlichen unsentimental und doch einfühlsam darzustellen. Pickel stellt ihren jungen Protagonisten nie bloß, schildert seine intensiven Gefühle eindrücklich und fasst die tiefe Sehnsucht nach seinem Vater in Worte. Und am Ende zeigt sie ihrem Ich-Erzähler eine lohnenswerte Perspektive.

Beltz & Gelberg 14,95 € (D)  Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 13 Jahren

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Dunkelnacht

Kirsten Boie (Text)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Der Krieg ist zu Ende! – Das ist am Morgen des 28. April 1945 in der bayerischen Kleinstadt Penzberg für die einen bereits Gewissheit. Für die anderen ist es Wehrkraftzersetzung und Grund für standgerichtliche Todesurteile. Umgehend kehrt der von den Nationalsozialisten abgesetzte Bürgermeister zurück ins Amt, während die Wehrmacht das exekutiert, was sie für Recht hält. Nur 24 Stunden später haben sich in Penzberg unvorstellbare Gräuel ereignet, die Nacht geht als Penzberger Mordnacht in die Geschichtsbücher ein. Das sind die Fakten, historisch belegt.

Kirsten Boie hat diesen Fall recherchiert und zu einem bedrückenden, beinahe szenischen Kammerspiel verdichtet. In knappen Sätzen schildert sie mit schmerzhafter Präzision, wie aus Nachbarn unerbittliche Gegner geworden sind, wie ideologische Verblendung jede Menschlichkeit ausradiert. Große Geschichte spiegelt sich im Kleinen. Die beklemmende, atmosphärisch dichte Schilderung wird durch die Figuren dreier Jugendlicher, die zwischen den Fronten stehen, nochmals intensiviert. Boie gelingt ein bewegendes Stück Erinnerungsliteratur, das unter die Haut geht. Und nebenbei erfindet sich die bekannte Erfolgsautorin völlig neu.

Oetinger 13,00 € (D)  Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 14 Jahren

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Malagash

Joey Comeau (Text),
Tobias Reußwig (Übersetzung)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Malagash – das ist kaum mehr als ein paar Häuser an einer langen Straße. An diesen Ort kehrt Sundays Familie zurück, hier will und wird ihr Vater an Krebs sterben. Sunday, ihre Mutter, ihr Bruder Simon und die Großmutter begleiten ihn während seiner letzten Lebensphase. Wut, Trauer und die Versuche, füreinander stark zu sein, wenigstens stark zu erscheinen, wirken tief auf die Familie.

Sunday ist besessen davon, eine bleibende Erinnerung an den Vater zu erschaffen. Sie programmiert einen Computervirus, der Gedanken, Sätze, Witze, wichtige und belanglose Worte des Vaters speichert und ihn so in Code-Form fortwähren lässt, ihn überdauert. Hierzu nimmt sie eigene Gespräche mit dem Vater auf, aber auch solche, die nicht für sie bestimmt sind. Die Arbeit am Virus ist ihr persönlicher Weg, um die Trauer zu überschreiben und ihrem geliebten Vater nahe zu sein.

Die von Tobias Reußwig präzise übersetzten kurzen Kapitel zeigen in eindringlicher Sprache eine kleine Welt, die weit über die Lektüre hinaus wirkt. Malagash erzählt von der Poesie der Sprache und von der Bedeutung des Miteinander-Sprechens angesichts der Spannung zwischen individueller Vergänglichkeit und medialer Dauer.

luftschacht 18,00 € (D)  Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 14 Jahren

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Wie man eine Raumkapsel verlässt

Alison McGhee (Text),
Birgitt Kollmann (Übersetzung)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Der Selbstmord seines Vaters wirft den 16-jährigen Will aus der Bahn, anfänglich sind Verdrängung und Vermeidung alleinige Bewältigungsstrategien. Er beginnt, seine Gedanken beim stundenlangen Laufen zu sortieren, fokussiert sich darauf, geliebten Menschen in seiner Umgebung eine Freude zu bereiten, sie im Blick zu behalten. So auch seine Freundin Playa, die er bereits aus Grundschultagen kennt. Playa wird auf einer Party vergewaltigt, Wills tiefe Verbundenheit zu dem Mädchen lässt ihn aktiv werden. An 100 aufeinanderfolgenden Tagen wird er ihr ein Geschenk vor die Tür stellen, immer mit einem der Leitsätze seines Vaters: „Don’t let the bastards get you down.“

Alison McGhee rückt nicht nur einen feinfühligen Jugendlichen in den Mittelpunkt, sondern neben der Musik von David Bowie auch die Zahl Hundert. In 100 Kapiteln mit je 100 Wörtern lässt sie einen beeindruckenden sprachlichen Sog entstehen, erzeugt in der Kürze einen enormen Spannungsbogen voller Rhythmus und Sound. Für die einfühlsame Übersetzung zeichnet Birgitt Kollmann verantwortlich. Auch sie hat sich streng an die Vorgabe der 100 Wörter gehalten und gibt Will in leisen Worten eine laute Stimme.

dtv Reihe Hanser 12,95 € (D) Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 14 Jahren

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Sanctuary

Flucht in die Freiheit
Abby Sher (Text),
Paola Mendoza (Text),
Stefanie Frida Lemke (Übersetzung)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Die USA im Jahr 2032 – eine dystopische Zukunft? Ja, die Überwachungstechnologie ist weit fortgeschritten, alle Dokumentierten tragen einen ID-Chip. Ja, die Abschottung gegenüber Flüchtenden an der Südgrenze ist durch eine Mauer manifestiert. Ja, die Undokumentierten, die als Illegale gelten, werden gejagt und interniert. Ja, die USA haben das liberale Kalifornien aus dem Staatenverbund ausgeschlossen. Und zugleich: Nein, denn die wenigen Jahre, die dieser Roman unserer Wirklichkeit voraus hat, zeigen im Kern eine Welt, in der sich die Gegenwart konsequent weiterentwickelt hat.

In dieser Welt kämpft die 16-jährige Vali um das nackte Überleben. Die Mutter ist bereits verhaftet, Vali und ihr kleiner Bruder fliehen durch ein feindliches Land. Sie schließen sich einer Gruppe an, auf dem Weg ins rettende Kalifornien. Sie erleben, was Ausgrenzung und Verachtung bedeuten, erfahren aber auch Solidarität und Hilfe. In klarer, nahezu harter Sprache, treffend übersetzt von Stefanie Frida Lemke, öffnet der Roman ein Fenster in eine nahe Zukunft, die hoffentlich so nicht eintreffen wird.

Carlsen 15,00 € (D) Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 14 Jahren

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Die Nacht so groß wie wir

Sarah Jäger (Text)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Eine letzte gemeinsame Nacht, Höhepunkt und Abschluss der Schullaufbahn – die Abifeier in der Turnhalle. Mittendrin Suse, Pavlow, Bo, Maja und Tolga, fünf langjährige Freunde, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Sie alle haben Ziele, Träume und Ideen, die anschließend auf sie warten werden. Noch diese Nacht, dann steht ihnen die Welt offen. Sie soll etwas Besonderes werden, aber alles wendet sich anders als erwartet: Geheimnisse kommen ans Licht, Wahrheiten werden ausgesprochen, Beziehungen aufgelöst. Alles eskaliert, nichts wird nach der Nacht sein wie zuvor.

Sarah Jäger nimmt die Lesenden durch wechselnde Erzählperspektiven direkt mit hinein in ihr fragiles Figurenensemble. Die jugendlichen Protagonist:innen zeichnet sie als starke Persönlichkeiten, die am Wendepunkt ihres Lebens stehen. Von Beginn an mitreißend, entfaltet Jäger einen großen Spannungsbogen mit unvorhersehbaren Entwicklungen. Mittels temporeicher Dialoge, Situationskomik und Wortwitz, bisweilen auch in melancholischer Sprache, lässt sie uns teilhaben an diesem entscheidenden Moment des Übergangs. Erneut beweist sich Sarah Jäger als eine genaue Beobachterin, der die jungen Erwachsenen sehr nahe sind.

Rowohlt 18,00 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 15 Jahren

Nominierungen in der Kategorie Sachbuch

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Von Moskau nach Wladiwostok

Eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn
Alexandra Litwina (Text),
Anna Desnitskaya (Illustration),
Lorenz Hoffmann (Übersetzung),
Thomas Weiler (Übersetzung)

Nominierung Sachbuch
Jurybegründung

Die Welt, die Alexandra Litwinas Sachbuch zeigt, ist uns sehr fern. Umso betörender wirken der Detailreichtum des großformatigen Bandes, die Informationsvielfalt, die beeindruckende Art der Illustration von Anna Desnitskaya. In den flächigen Bildtafeln werden Impressionen über Land und Menschen lebendig, in aufwändiger Vorarbeit gesammelt, um alle Gegebenheiten so original wie möglich zu spiegeln.

Mit einer dreiseitigen Karte, zugleich Vorsatzpapier und Inhaltsverzeichnis, startet die faszinierende Reise über 174 Stunden und 9.288 Kilometer durch halb Europa und Asien. In ausgewogenem Wechsel folgen prall gefüllte Doppelseiten, mal mit Blick in die Abteile, mal auf Stationen der Fahrt. Dazu mischen sich in Zeichnung und Begleittext (übersetzt von Lorenz Hoffmann und Thomas Weiler) viele Einzelheiten. Landschaften, Städte, Geschichte, Kultur, Flora, Fauna, Kulinarik und russische Vokabeln fügen sich zu einer Gesamtschau. Der Anhang liefert Begriffs- und Personenerklärungen, einen Blick auf das kyrillische Alphabet und die Anbindung der Transsib ans europäische Bahnnetz. Das Buch ist ein Brückenbauer im besten Sinn des Wortes.

Gerstenberg 26,00 € (D) Originalsprache: Russisch
Nominierung 2022, Kategorie: Sachbuch
Ab 8 Jahren

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Hunde im Futur

Eine Grammatik in Bildern
Johannes Rieder (Text),
Susanna Rieder (Text),
Arinda Crăciun (Illustration),
Carsten Aermes (Gestaltung)

Nominierung Sachbuch
Jurybegründung

Das witzige Coverbild eines schwanzwedelnden weißen Hundehinterteils auf blauem Grund gibt Rätsel auf, dazu der Titel Hunde im Futur. Eine Grammatik in Bildern. Die Neugier ist geweckt. Geht es hier wirklich um Grammatik, das trockene Regelsystem von Sprache, das gewöhnlich kaum zu Begeisterungsstürmen hinreißt? Dieses Buch beweist nicht nur das Gegenteil: Es ist ein Schatz, der seinesgleichen sucht.

Die Einführung in die Grammatik der deutschen Sprache arbeitet in höchstem Maß ideenreich, sowohl die unverschulte Inhaltsaufbereitung wie auch die herstellerische Raffinesse betreffend. Beides geht eine vollkommene Verbindung ein. Jede der farbigen Doppelseiten ist als Ausklapper angelegt, der einen direkten „Einblick“ ins Seitenthema bietet. Solch spielerisches, haptisches „Begreifen“ führt zu schönen, oft selbsterklärenden Ergebnissen. Fast alle Wortarten, Fälle, Zeiten, Satzglieder und Satzarten werden auf diese Weise durch handillustrierte Zeichnungen vorgestellt, ja, manchmal sogar bildlich in Aktion gebracht. Einfallsreichtum pur, der Lust macht, über Sprache nachzudenken.

Susanna Rieder 30,00 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Sachbuch
Ab 8 Jahren

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Sehen

Andrij Lessiw (Text),
Romana Romanyshyn (Text),
Romana Romanyshyn (Illustration),
Claudia Dathe (Übersetzung)

Nominierung Sachbuch
Jurybegründung

Eindrucksvoll, farbstark und pointiert zeigt das ukrainische Grafikerpaar Romana Romanyschyn und Andrij Lessiw, dass Sehen mehr ist als visuelle Sinneswahrnehmung. In plakativen, inspirierenden Grafiken und knappen, von Claudia Dathe treffend übersetzten Texten breiten sie die Welt des Sehens in ihren unterschiedlichen Facetten aus, verknüpfen beinahe spielerisch naturwissenschaftliche und philosophische Fragestellungen. Die Annäherung an das Sehen reicht von Aufbau und Funktionsweise des Auges, über Sehschärfe, Farbspektren, Brillen, optische Geräte wie Mikroskope oder Teleskope, optische Täuschungen bis hin zum Sehvermögen von Tieren. Auch die Frage danach, wie wir Kunst und Natur, ja sogar Imagination und Träume, wahrnehmen, wird gestellt. Und wie ist es eigentlich, wenig oder nichts zu sehen?

All diese Themen sind in poppigen Sonderfarben vom Buchumschlag bis zu Vor- und Nachsatzpapier sorgsam durchkomponiert. Das Aufsehen erregende Sachbuch ist Aufforderung und Ermutigung, die Welt mit anderen Augen zu sehen und sich mit Fragen der (eigenen) Wahrnehmung zu beschäftigen.

Gerstenberg 20,00 € (D) Originalsprache: Ukrainisch
Nominierung 2022, Kategorie: Sachbuch
Ab 8 Jahren

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Damals der Dodo

Vom Aussterben und Überleben der Arten
Isabel Pin (Text),
Isabel Pin (Illustration),
Martin Zwilling (Übersetzung)

Nominierung Sachbuch
Jurybegründung

Das bibliophil wirkende Großformat Damals der Dodo lädt ein zu einer Themenreise durch die Zeit. Im Zentrum steht der exotisch anmutende, die Phantasie beflügelnde Dodo. Wo genau lebte er? Speiseplan? Flugfähigkeiten? – All das wird geklärt und zugleich als Vorlage benutzt, um auf andere ausgestorbene und bedrohte Arten aufmerksam zu machen. Inhaltlich meistert das Buch Hunderte von Jahren Natur- und Kulturgeschichte, die hier zu einem eindrucksvollen Rundumblick verschmelzen. Geschickt werden Biologie, Ornithologie, Paläontologie und Historie verwoben und um biografische Notizen zu Forschenden und Sammler:innen erweitert. So wird ein umfangreiches Wissenspaket geschnürt, das bis in unsere Zeit führt und in eine Karte gefährdeter Arten mündet. Brillant, wie das Buch Warnsignale setzt, ohne zu moralisieren, wie der Reflexionshorizont unaufdringlich geweitet wird.

Damals der Dodo ist ganz und gar durch die Künstlerin Isabel Pin geprägt. Filigran gezeichnete Illustrationen, mal nur mit zart schwarzem Strich auf dem vergilbt wirkenden Papier entworfen, mal mit Tuschefarben unterlegt, begeistern durch Charme und Abwechslungsreichtum. Parallel dazu fließt ein leichter, spannender Lesetext, übersetzt von Martin Zwilling.

Karl Rauch 25,00 € (D) Originalsprache: Französisch
Nominierung 2022, Kategorie: Sachbuch
Ab 10 Jahren

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Das Weltall oder Das Geheimnis, wie aus nichts etwas wurde

Jan Paul Schutten (Text),
Floor Rieder (Illustration),
Verena Kiefer (Übersetzung)

Nominierung Sachbuch
Jurybegründung

Das Weltall – unendliche Weiten und eine schier endlose Fülle an Wissen. Exakt „523 außergewöhnlich wissenswerte Dinge“ und komplexe Zusammenhänge greift Jan Paul Schutten aus diesem Kosmos heraus, holt sie mit einem Augenzwinkern ins Hier und Jetzt. Staunend folgt man seinen Ausführungen und Gedankenexperimenten durch (Welt-)Raum und Zeit. Mit Humor und einer durchaus selbstironischen, selbstkritischen Erzählhaltung gelingt es dem Niederländer, aktuelle Forschungsergebnisse, physikalische Zusammenhänge und philosophische Ansätze mit treffenden Vergleichen und Sprachbildern verständlich zu beschreiben und zu erklären. Im Zusammenspiel mit den außergewöhnlichen Illustrationen von Floor Rieder, die dem umfangreichen Text kommentierend und erklärend zur Seite stehen, sowie der überzeugenden Übersetzung von Verena Kiefer, dem gelungenen Layout und der hochwertigen Ausstattung ist dieses Sachbuch ein Gesamtkunstwerk. Es fordert gleichermaßen zum Schmunzeln wie zur kritischen Reflexion heraus und hebt sich ab von anderen Büchern zum Thema.


Gerstenberg 26,00 € (D) Originalsprache: Niederländisch
Nominierung 2022, Kategorie: Sachbuch
Ab 13 Jahren

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Der Duft der Kiefern

Meine Familie und ihre Geheimnisse
Bianca Schaalburg (Text),
Bianca Schaalburg (Illustration)

Nominierung Sachbuch
Jurybegründung

Kann es stimmen, was Großmutter Else behauptet: „Wir. Wussten. Von. Nichts.“? Von der Verfolgung, Enteignung, Deportation und systematischen Ermordung von mehr als sechs Millionen Juden während des Zweiten Weltkriegs will sie erst viel später erfahren haben. Und der Großvater? War er ein Mitläufer oder doch ein überzeugter Täter? Es sind sehr persönliche Fragen, denen Bianca Schaalburg in ihrer autobiografischen Graphic Novel beharrlich nachspürt. Doch gelingt gerade über die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte eine tiefgreifende Beschäftigung mit historischen Ereignissen: Geschickt bettet die Künstlerin ihre Nachforschungen, die selbst wesentlicher Teil der dokumentarisch angelegten Erzählung sind, wie auch die gewonnenen Erkenntnisse in den jeweiligen zeitlichen Kontext ein und legt so ein erstaunliches Geflecht an Unwahrheiten, Unwissenheit und Verdrängung offen. Sorgfältig recherchierte Erläuterungen und Hintergrundinformationen, die in den Bildern, Textpassagen sowie in einem umfangreichen Anhang präsentiert werden, runden die facettenreiche grafische Erzählung ab. Sie helfen, Geschichte im Kleinen wie im Großen zu rekonstruieren und zu erfassen. Der Duft der Kiefern ist so weit mehr als ein Stück persönlicher Erinnerung – es ist ein Beitrag gegen das Vergessen.

avant 26,00 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Sachbuch
Ab 14 Jahren

Nominierungen für den Preis der Jugendjury

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Wie man eine Raumkapsel verlässt

Alison McGhee (Text),
Birgitt Kollmann (Übersetzung)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Der Selbstmord seines Vaters wirft den 16-jährigen Will aus der Bahn, anfänglich sind Verdrängung und Vermeidung alleinige Bewältigungsstrategien. Er beginnt, seine Gedanken beim stundenlangen Laufen zu sortieren, fokussiert sich darauf, geliebten Menschen in seiner Umgebung eine Freude zu bereiten, sie im Blick zu behalten. So auch seine Freundin Playa, die er bereits aus Grundschultagen kennt. Playa wird auf einer Party vergewaltigt, Wills tiefe Verbundenheit zu dem Mädchen lässt ihn aktiv werden. An 100 aufeinanderfolgenden Tagen wird er ihr ein Geschenk vor die Tür stellen, immer mit einem der Leitsätze seines Vaters: „Don’t let the bastards get you down.“

Alison McGhee rückt nicht nur einen feinfühligen Jugendlichen in den Mittelpunkt, sondern neben der Musik von David Bowie auch die Zahl Hundert. In 100 Kapiteln mit je 100 Wörtern lässt sie einen beeindruckenden sprachlichen Sog entstehen, erzeugt in der Kürze einen enormen Spannungsbogen voller Rhythmus und Sound. Für die einfühlsame Übersetzung zeichnet Birgitt Kollmann verantwortlich. Auch sie hat sich streng an die Vorgabe der 100 Wörter gehalten und gibt Will in leisen Worten eine laute Stimme.

dtv Reihe Hanser 12,95 € (D)  Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 14 Jahren

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Die beste Zeit ist am Ende der Welt

Sara Barnard (Text),
Hanna Christine Fliedner (Übersetzung)

Nominierung Preis der Jugendjury
Jurybegründung

Peyton, 17, Mobbingopfer mit Hang zu falschen Freunden, steht allein am anderen Ende der Welt, um ihr Leben in den Griff zu bekommen. Was sind Freunde, falsche und richtige? Das ist die überlebenswichtige Frage, als sie sich spontan einem bunten Trupp Reiselustiger bei einem Trip durch Kanada anschließt. Idyllische Landschaften wechseln sich ab mit Flashbacks aus Peytons letztem Collegejahr in England. Psychische Verletzungen, die ihr Umfeld als erduldbares Mobbing abtat, und ihr Wunsch nach Freunden trieben sie damals erst in falsche Gesellschaft und dann zur Flucht.


Stimmig verzahnt Sara Barnard die Zeitebenen. Peytons Rückblicke haben den erforderlichen Abstand zur eigenen Person, der eine für ein Jugendbuch ungewöhnliche Eigenanalyse möglich macht. Ihre Reflexionen lassen Peyton an sich selbst wachsen, Mut gewinnen und selbstständig werden. Dadurch spiegelt die Autorin treffsicher das Erwachsenwerden vieler Jugendlicher wider. Sensibel und realistisch thematisiert sie Einsamkeit, Verlustangst, Schuld und Enttäuschung. Verschiedene Facetten von Freundschaft werden durch differenziert ausgearbeitete Charaktere beleuchtet. Hanna Christine Fliedner gibt in ihrer Übersetzung Schmerz, Traurigkeit und Glück mit klarer Eleganz den richtigen Klang.

Arctis 19,00 € (D) Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Preis der Jugendjury
Ab 14 Jahren

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Dunkelnacht

Kirsten Boie (Text)

Nominierung Jugendbuch
Jurybegründung

Der Krieg ist zu Ende! – Das ist am Morgen des 28. April 1945 in der bayerischen Kleinstadt Penzberg für die einen bereits Gewissheit. Für die anderen ist es Wehrkraftzersetzung und Grund für standgerichtliche Todesurteile. Umgehend kehrt der von den Nationalsozialisten abgesetzte Bürgermeister zurück ins Amt, während die Wehrmacht das exekutiert, was sie für Recht hält. Nur 24 Stunden später haben sich in Penzberg unvorstellbare Gräuel ereignet, die Nacht geht als Penzberger Mordnacht in die Geschichtsbücher ein. Das sind die Fakten, historisch belegt.

Kirsten Boie hat diesen Fall recherchiert und zu einem bedrückenden, beinahe szenischen Kammerspiel verdichtet. In knappen Sätzen schildert sie mit schmerzhafter Präzision, wie aus Nachbarn unerbittliche Gegner geworden sind, wie ideologische Verblendung jede Menschlichkeit ausradiert. Große Geschichte spiegelt sich im Kleinen. Die beklemmende, atmosphärisch dichte Schilderung wird durch die Figuren dreier Jugendlicher, die zwischen den Fronten stehen, nochmals intensiviert. Boie gelingt ein bewegendes Stück Erinnerungsliteratur, das unter die Haut geht. Und nebenbei erfindet sich die bekannte Erfolgsautorin völlig neu.

Oetinger 13,00 € (D)  Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Jugendbuch
Ab 14 Jahren

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Das Geheimnis meines Turbans

Als Junge verkleidet unter den Taliban
Agnès Rotger (Text),
Nadia Ghulam (Text),
Silke Kleemann (Übersetzung)

Nominierung Preis der Jugendjury
Jurybegründung

Nadia Ghulam, Autorin dieser Autobiografie, ist noch ein Kind, als in ihrer Heimat Afghanistan der Krieg ausbricht. Bei einem Bombenangriff wird sie schwer verletzt und entstellt. Sie verliert ihren Bruder und sieht mit an, wie ihr Vater den Verstand verliert. Mit elf Jahren steht Nadia schließlich als Alleinversorgerin der Familie da, als Junge verkleidet, denn die Taliban verbieten Frauen das Arbeiten.


„Ein beeindruckender Appell gegen die Unterdrückung von Frauen und Mädchen“, heißt es auf der Buchrückseite – zu Recht. Nadia Ghulam schreibt über all die Missstände, die seit der Machtübernahme der Taliban in den 1990ern im Land herrschen: Schulverbot für Mädchen, Arbeitsverbot für Frauen, Pflicht zum Tragen der Burka, fehlende medizinische Versorgung. Zusammen mit ihrer Co-Autorin Agnès Roter führt sie in von Silke Kleemann übersetzten, kurzen und einfühlsamen Sätzen durch eine Kindheit, die für Jugendliche in Deutschland unvorstellbar ist. Deshalb ist es umso wichtiger, sich darüber zu informieren, wie Kinder in anderen Teilen der Welt leben (müssen). Gerade vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklungen in Afghanistan ist dieses Buch relevanter denn je.

cbj 10,00 € (D) Originalsprache: Spanisch
Nominierung 2022, Kategorie: Preis der Jugendjury
Ab 14 Jahren

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Birthday

Eine Liebesgeschichte
Meredith Russo (Text),
Anne Brauner (Übersetzung),
Susanne Klein (Übersetzung)

Nominierung Preis der Jugendjury
Jurybegründung

Ein Geburtstag, zwei Freunde – Morgan und Eric. Sie teilen nicht nur den Geburtstag, sie verbindet auch eine tiefe Freundschaft und sie können sich alles erzählen. Als Morgan bewusst wird, dass er im falschen Körper geboren wurde und eigentlich ein Mädchen ist, will und muss sie aber erst einmal selbst damit klarkommen. Aufbau und Erzählweise von Meredith Russos Roman, übersetzt von Anne Brauner und Susanne Klein, sind faszinierend: Das Buch ist in sechs Teile gegliedert, die über sechs Jahre jeweils einen Geburtstag der Freunde beschreiben, beginnend mit dem 13. und endend mit dem 18. Es wird aus beiden Perspektiven berichtet, dadurch können die Leser:innen die Entwicklung, Gefühle und Gedanken von Morgan und Eric nahezu ungefiltert mitverfolgen. Sehr realistisch beschreibt die Geschichte Situationen, in denen man sich wünscht, in das Geschehen eingreifen zu können. Das Buch ist unglaublich spannend zu lesen und es ist so viel mehr als ein klassischer Liebesroman. Es geht um Trauer, Freundschaft, Mobbing und Familie, mit allen Rückschlägen und Erfolgen, Ängsten und Hoffnungen der Beteiligten. Morgans und Erics Geschichte ist intensiv, schmerzvoll und berührend. Die Leser:innen werden emotional mitgerissen – ein wirklich authentisches und wunderschönes Buch!

Loewe 16,95 € (D) Originalsprache: Englisch
Nominierung 2022, Kategorie: Preis der Jugendjury
Ab 14 Jahren

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Hard Land

Benedict Wells (Text)

Nominierung Preis der Jugendjury
Jurybegründung

Missouri, 1985. Als der 15-jährige Sam in einem alten Kino zu jobben beginnt, bricht für ihn ein Sommer an, der alles verändern wird. Zwischen Popcorn und flimmernden Leinwänden trifft er auf neue Freunde, die ihn aus der Starre des verschlafenen Örtchens Grady befreien und schnurstracks ins Erwachsenwerden katapultieren. Es ist ein Sommer, der ihm die erste Liebe und den ersten Verlust bringt, ein Sommer voller Abenteuer und Schmerz, voller Ängste und neuer Träume. Ein Sommer, der mitsamt seinen Schattenseiten eine Liebeserklärung an die Jugend ist.


Sams Freundin Kirstie erfindet den Begriff „Euphancholie“ als Beschreibung eines Zustands, in dem die Euphorie eines glücklichen Augenblicks von seiner lauernden Vergänglichkeit überschattet wird und melancholisch stimmt – ein Wort, das diesen Coming of Age-Roman nicht besser beschreiben könnte: Gleichermaßen verspielt wie melancholisch wirft Hard Land uns in eine Zeit der „99 Luftballons“ und verträumten Sommertage zurück und schafft dabei mit seinen lebendigen und witzreichen Charakteren eine Atmosphäre, die bis zur letzten Seite an Grady und dessen 49 Geheimnisse fesselt.

Diogenes 24,00 € (D) Originalsprache: Deutsch
Nominierung 2022, Kategorie: Preis der Jugendjury
Ab 15 Jahren

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