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Der verlorene Sohn

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Der verlorene Sohn


von Olga Grjasnowa

Nochmal ein "historischer" Roman, den ich vorstellen möchte. Historisch in Anführungszeichen, da dieser Begriff auch für Literatur und andere geschriebene Werke steht, die sich zu hauf ein Jahr nach Erscheinen in Schütten bei den Discountern als unechte Mängelexemplare wiederfinden.

Da ich selbst gerne in andere Zeiten eintauche und viele meiner Kund*innen auch immer wieder nach Romanen aus anderen Welten, politischen Systemen, anderer Kulturkreisen usw. fragen, freue ich mich immer wieder einen neuen Titel empfehlen  zu dürfen, wie schon in den letzten Jahren: Alexander Osangs "Leben der Elena Silber" oder "Alle, außer mir" von Francesca Melandri oder auch ganz neu erschienen: "Die Marschalin" von Zora Del Buono. Gemeinsam ist all diesen Romanen wie Fiktion und reale Biografien miteinander verschmelzen.

So auch hier. Im Mittelpunkt steht die Geschichte um den Sohn eines berühmten islamischen Führers und erbitterten Gegners Russland im Kaukasischen Krieg: Imam Schamil war 1834 bis 1859 religiös-politischer Führer der muslimischen Bergvölker Dagestans und Tschetscheniens und organisierte in dieser Zeit deren Widerstand gegen die russische Eroberung des Norostkaukasus.

Inhalt:

Akhulgo, Nordkaukasus, 1839: Jamalludin wächst als Sohn des mächtigen Imams auf. Seit Jahrzehnten tobt der Kaukasische Krieg, und sein Vater wird von der russischen Armee immer mehr bedrängt. Schließlich muss er seinen Sohn als Geisel geben, um die Verhandlungen mit dem Feind aufzunehmen, und Jamalludin wird an den Hof des Zaren nach St. Petersburg gebracht. Dort wird er mit einer anderen Welt konfrontiert. Der Wohlstand, die Kultiviertheit des Lebens am Hof steht in krassem Kontrast zu seinem bisherigen Leben. Einerseits ist er fasziniert und profitiert von Bildung und Umgang, andererseits bleibt ihm auch vieles fremd, vermisst er seine eigene Kultur und seine Familie. Bis er wieder zurückkehren kann, ausgetaucht gegen Gefangene seines Vaters vergehen 15 Jahre, er war neun Jahre alt, als er von Zuhause wegmußte.

Zurück kann er sich nicht mehr in die archaische Lebensweise eingliedern. Zu deutlich sieht er auch, dass alles in einer Katastrophe, blutig und sinnlos enden wird.

Olga Grjasnowa erzählt sprachmächtig von einem Kind, das zwischen zwei Kulturen und zwei Religionen steht und seine Identität finden muss. Und von der verheerenden Wirkung eines Krieges, in dem es keine Sieger geben kann.

Aufbau Verlag, 383 S., EUR 22.--

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